Brandenburgs Kreative in der Pandemie (V): Theaterkollektiv FRITZAHOI!
Foto: Theaterkollektiv Fritzahoi!
Die Corona-Pandemie hat die Kultur- und Kreativwirtschaft nicht nur ausgebremst, sondern teilweise in existenzielle Nöte gebracht. Jetzt, nach einem Jahr Pandemie, heißt es: nach vorne schauen! Auch 2021 wird nicht einfach werden, aber es gibt Chancen, dass wir zu einer (neuen) Normalität kommen.
Kreatives Brandenburg will den Akteuren selbst eine Stimme geben, eine schlaglichtartige Bestandsaufnahme wagen. Wie sind Brandenburgs Kultur- und Kreativschaffende durch das vergangene Jahr gekommen? Wie ergeht es ihnen in der Krise? Was kann 2021 bringen? Heute: Theaterkollektiv FRITZAHOI!
Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die Arbeit ausgewirkt?
Wir haben unsere Arbeitsabläufe und Kommunikationen gänzlich in digitale Räume verlegt. Unsere Performance ¡Hola Temperatura! war eigentlich im November 2020 als analoge bzw. hybride Veranstaltung geplant. Durch die Pandemie-Auflagen mussten wir sie dann jedoch komplett in den digitalen Raum verlegen - so kamen wir zu unserem ersten Zoom-Theaterstück.
Durch diverse Online-Angebote, wie Workshops, Netzwerktreffen oder Konferenzen, haben wir viele neue Menschen kennengelernt. Es war eine tolle Erfahrung, interessenbasierte, überregionale Bekanntschaften zu knüpfen. Aus diesen Begegnungen im Netz sind echte Arbeitsfreundschaften entstanden: So wirken seit Mai 2020 zwei Leute aus Köln und eine Person aus München remote an der Entwicklung unseres neuen Projektes mit.
Welche neuen Arbeitsweisen, Verbreitungs- und Kommunikationswege wurden geschaffen oder genutzt?
Wir kommunizieren intern hauptsächlich über Messenger-Dienste wie Zoom, Jitsi, Discord, Slack, Spatial.chat, Wonder, Telegram und andere Messenger-Dienste, die wir mittlerweile auch als Spielwiese für neue Performances sehen, und greifen auf geteilte Dokumente und Whiteboards zurück, in denen wir unsere Ideen festhalten. Da es keine Leitfäden für die künstlerische Arbeit mit digitalen Kommunikationstools gibt, macht das Entwickeln von hybriden und digitalen Formaten interaktive Playtests mit einem Testpublikum unerlässlich, die es bei “klassischen” Theaterproduktionen nicht gibt
Welche neuen Projekte (die es so ohne die Pandemie nicht gegeben hätte) wurden entwickelt?
Wir haben den ersten Shutdown dazu genutzt, uns zu vernetzen und weiterzubilden: Bei Veranstaltungen von Cheers for Fears, der Heinrich Böll Stiftung, dem Hebbel am Ufer Theater, dem Bundesverband freier Theater oder der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes lernten wir spannende neue Formate kennen, die uns dazu brachten, im Mai 2020 mit den Proben für ein Theaterstück in Zoom zu beginnen, das sowohl online als auch in der Biosphäre Potsdam aufgeführt werden sollte. Da zu diesem Zeitpunkt nicht absehbar war, ob wir wie geplant aufführen können würden, dachten wir eine rein digitale Version von Anfang an mit: Frei nach dem Motto: „Immer einen Plan B in der Tasche haben“.
In diesem Jahr planen wir eine neue Produktion mit einem Messenger-Dienst, die an mehreren Orten gleichzeitig stattfinden soll und lassen dort unsere Erfahrungen der Remote-Arbeit mit einfließen. Dass es einen gemeinsamen Aktionstag wie KulturMachtPotsdam gibt, bei dem wir uns einbringen können, wäre ohne die Pandemie, die neben einer großen Krise eben durchaus auch eine große Solidarität unter den Kulturschaffenden ausgelöst hat, wohl nicht denkbar gewesen. Des weiteren bieten wir seit neustem Online-Events für Teambuildings von Firmen unterschiedlicher Art an.
Welche Unterstützung (privat/ staatlich) habt ihr erhalten?
Unser Kollektiv hat im vergangenen Jahr eine Projektförderung vom Fonds Soziokultur aus dem Programm Neustart Kultur für unser Zoom-Theaterstück bekommen. In diesem Jahr erhielten wir eine Projektförderung vom Brandenburgischen Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur für unser Messenger-Vorhaben sowie eine Förderung im Rahmen von #takepart aus dem Programm Neustart Kultur vom Fonds darstellende Künste zur Erforschung der neuen Formate und Erschließung neuer Publika.
Des weiteren werden unsere Fritzin Sophie Roeder durch ein Mikrostipendium II für solo-selbstständige Künstler:innen des Landes Brandenburg und unsere Fritzin Sina Schmidt durch ein Arbeitsstipendium des Landes Brandenburg zur weiteren Erforschung digitaler Formen von Theater unterstützt. Für diese Unterstützung, ohne die unsere Arbeit im Moment gar nicht möglich wäre, sind wir wahnsinnig dankbar!
Welche Erwartungen gibt es für 2021?
Wir wünschen uns für das Jahr 2021 allem voran Gesundheit und dass Mittel und Wege gefunden werden, mit der Pandemie einen halbwegs normalen Alltag bestreiten zu können. Trotz oder vielmehr weil uns momentan so viele Unsicherheiten begleiten, wünschen wir uns, dass Kunst und Kultur auch in der Krise eine gewisse Stabilität, kreative Gedankenund Begegnungsräume bieten, dass Kunst und Kultur Impulsgeberinnen für das “New Normal” sind.
Persönlich hoffen wir, dass es uns gelingt, unsere geplanten Theaterprojekte umzusetzen und damit auch ein überregionales Publikum zu erreichen und zu vernetzen.
Welche Erwartungen gibt es an die gesellschaftlichen Akteure? An die Kultur- und Kreativszene selbst? An die Politik? An alle da draußen?
Initiativen wie KulturMachtPotsdam zeigen, dass ein solidarisches Miteinander über Spartengrenzen und Institutionen hinaus möglich ist. Die Frage ist, wie nachhaltig solche Netzwerke langfristig die Kulturbranche prägen werden, inwiefern agile Systeme, in denen alle Mitarbeitenden auf Augenhöhe kommunizieren, klassische Hierarchien, wie sie insbesondere “klassische” Kulturinstitutionen noch immer dominieren, ablösen können.
Die Pandemie ist wie ein Katalysator für gesellschaftliche Veränderungen, die schon länger spürbar sind. Es wäre wundervoll, wenn Kulturschaffende ihr Wissen und ihre Ressourcen mit anderen teilen, öfter über den eigenen Tellerrand hinausschauen und offen für Neues blieben, ohne dabei tradierte Formen ganz aufzugeben.
Von der Politik erwarten wir, dass sie - in allen Bereichen - die Stimmen der Bürger:innen und ihre tatsächlichen Bedürfnisse stärker berücksichtigt, statt Entscheidungen nach Schema F und vor allem unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu treffen. Das schließt ein Überarbeiten bestehender Förderstrukturen ein: Kunst und Kultur bilden die Basis einer funktionierenden Gesellschaft und können nicht nur durch unbezahltes Ehrenamt aufrecht erhalten werden. Kulturschaffende brauchen (Frei-)Räume und finanzielle Absicherungen, statt komplizierte bürokratische Förderrichtlinien.
Von unserem Publikum wünschen wir uns ehrliches Feedback, Solidarität und Toleranz gegenüber anderen Perspektiven und Lebensmodellen sowie ein entschiedenes Vorgehen gegen Diskriminierungen jeglicher Art.
Das Theaterkollektiv Fritzahoi! stellt sich vor: Das freie Theaterkollektiv FRITZAHOI! wurde im Herbst 2015 gegründet und hat sich in den letzten Jahren auf ortsspezifisches, dokumentarisches Musiktheater spezialisiert, das sich inhaltlich damit beschäftigt, wie äußere (sozialpolitische) Strukturen das (individuelle) Innenleben beeinflussen. Gemeinplätze zu dekonstruieren und manipulative Strukturen in Werbung, Politik, Wirtschaft und anderen öffentlich wirksamen Institutionen freizulegen, ist dabei ein wesentlicher Ansatz.
Seit der Gründung entstanden die Produktionen Schreibtischherrschaft (2016) - zum Thema Bürokratie, Don‘t Cry, Work! – ein dokumentarisches Theaterstück zum Arbeitsbegriff des 21.Jh. (2017), Von Wegen – auf der Suche nach Fontanes Brandenburg - ein mobiles Musiktheaterstück zum Thema Heimat und Mobilität (2019) und Observationen über Selbstdarstellung und Überwachung im digitalen Zeitalter, die 2020 zum internationalen Theaterfestival Olga Alonso nach Fomento, Kuba eingeladen und hier mit großem Erfolg gezeigt wurde. Im November 2020 gab das Ensemble mit der digitalen Lesung ¡Hola, temperatura! - eine Theaterfahrt nach Kuba, die im Zoom-Videochat aufgeführt wurde, Einblicke in diese Gastspielreise und entwickelte zugleich die erste digitale Live-Theaterperformance des Kollektivs.
Seit Mai 2020 arbeitet FRITZAHOI! in einer bundesweiten Konstellation und testet neue Wege zur Entwicklung von digitalen und hybriden Theaterformen. Aktuell unterstützt das Kollektiv die Macher:innen des für den 13. März 2021 geplanten Aktionstages KulturMachtPotsdam dabei, geeignete Online-Formate zu entwickeln. Parallel arbeitet das Ensemble an einer neuen Produktion, die im Herbst 2021 sowohl im städtischen Raum als auch online stattfinden wird.
Zum aktuellen Ensemble gehören die freie Regisseurin Sina Schmidt, die Schauspielerin Sophie Roeder, Performerin und PR-Managerin Kristin Fabig, Produktionsmanagerin Henrike Janssen sowie die Dramaturgin und Programmkuratorin Silvia Bauer, Experience Designerin Gabi Linde und die Bühnenbildnerin Claudia Vaes.
Das Theaterkolletiv Fritzahoi findet man unter www.fritzahoi.de, auf Facebook und Instagram.
Brandenburgs Kreative in der Pandemie
(I): MIKALO
(II): Simone Westphal
(III) Tobias Thiele
(IV) Urban Art
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Alle Kreativschaffenden in Brandenburg sind aufgerufen, sich an der aktuellen Umfrage von Kreatives Brandenburg zu beteiligen. Einfach die folgenden Fragen beantworten und alles an info@kreatives-brandenburg.de schicken.
Wie hat sich die Corona-Pandemie auf Deine/ Ihre/ Eure Arbeit ausgewirkt?
Welche neuen Arbeitsweisen, Verbreitungs- und Kommunikationswege hast Du/ haben Sie/ habt Ihr geschaffen oder genutzt?
Welche neuen Projekte (die es so ohne die Pandemie nicht gegeben hätte) hast Du/ haben Sie/ habt Ihr entwickelt?
Welche Unterstützung (privat/ staatlich) hast Du/ haben Sie/ habt Ihr erhalten?
Welche Erwartungen hast Du/ haben Sie/ habt Ihr für 2021?
Welche Erwartungen hast Du/ haben Sie/ habt Ihr an die gesellschaftlichen Akteure? An die Kultur- und Kreativszene selbst? An die Politik? An die Menschen, die Deine/ Ihre/ Eure Arbeit nutzen/ konsumieren/ hören/ sehen/ fühlen (wollen)?
In den kommenden Wochen stellt KREATIVES BRANDENBURG die Akteure, die an dieser Befragung teilnehmen, auf dem Webportal www.kreatives-brandenburg.de vor. Wir freuen uns über zahlreiche Antworten an info@kreatives-brandenburg.de .
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